Radio-Onkologie und Strahlentherapie

Konventionelles Röntgentherapiegerät 1975

Das Basler Röntgeninstitut wurde 31 Jahre nach Übergang des Bürgerspitals in das universitäre Kantonspital der Stadt gegründet. In den 1920er Jahren des letzten Jahrhunderts erhielt das Institut einen ärztlichen Leiter, um anschliessend mit dem Institut für physikalische Therapie vereinigt zu werden und erstmalig einen Lehrauftrag zu erhalten. Im Jahre 1954 wurde das Institut erneut selbstständig, diesmal als Institut für Röntgendiagnostik und Strahlentherapie, um dann im Jahre 1964 schliesslich einen eigenen Lehrstuhl zu erhalten.

Personal der Abteilung 1982

Vor 40 Jahren war die Hauptbeschäftigung des Physikers im Bürgerspital Basel die physikalische Betreuung der Radiumbehandlung in der gynäkologischen Strahlentherapie. Diese Tätigkeiten wurden zunehmend ergänzt durch die Dosimetrie, physikalisch-technische Betreuung von Bestrahlungsgeräten und den Strahlenschutz für Patienten und Personal. In den vergangenen 20 Jahren wurden zahlreiche Methoden in der radiologischen diagnostischen Therapie standardisiert und teilweise automatisiert. Dies führte einerseits zur Vereinfachung, erforderte andererseits aber auch vermehrte Kontrollen vor allem in den Bereichen, in denen Abläufe und Methoden nicht immer offensichtlich und unmittelbar nachvollziehbar sind. Die physikalisch-technische Qualitätssicherung entwickelte sich zu einer der wichtigsten Tätigkeiten in der Radio-Onkologie. Nur durch sie können eine optimale Therapie der Patienten und eine qualitativ hochwertige Durchführung klinischer und experimenteller Studien gesichert werden. Im Jahre 2004 wurde die ursprünglich eigenständige Medizinische Physik in die Radio-Onkologie integriert, wodurch vor allem die enge Zusammenarbeit von Ärzten und Medizinphysikern intensiviert und optimiert wurde.

Linearbeschleuniger mit Leitender MTRA Frau Binggl und Prof. Herbst

Etablierung der Strahlentherapie
Die radioonkologischen Behandlungen wurden unter der Leitung von Herrn Erich Zdansky im Jahre 1957 mit dem Beginn der Megavolttherapie aufgenommen. Die Behandlungen erfolgten mit dem ersten in der Schweiz verfügbaren Kobalt-60-Gerät, einem Eigenbau von Prof. H. Lüthi. Im Jahre 1968 erfolgte mit der Übernahme der Leitung der Radioonkologie durch Herrn Dr. Hünig auch der Umzug in neue grössere Räumlichkeiten. Dort wurde die Radiotherapie mit einem Siemens Gammatron (Kobalt-60-Gerät) bis 1979 durchgeführt, ab 1974 ergänzt durch ein Siemens Betatron (18MeV).

In den folgenden Jahren etablierte sich die Strahlentherapie in einem zunehmenden breiteren klinischen Spektrum. Exemplarisch seien hier nur die erstmalig systematisch durchgeführten postoperativen Strahlentherapien des Mammakarzinoms zum Organerhalt und die Ganzkörperbestrahlungen im Rahmen der Transplantationsvorbereitung bei Leukämien als wesentliche Beispiele genannt. Zu diesen Themen wurden ab Ende der 1970er Jahre Patienten im Rahmen erster interdisziplinäre klinischer Studien am Universitätsspital radioonkologisch behandelt.

45-MeV-Betatron der Firma Brown und Boveri

Im Jahre 1969 erfolgten erste Publikationen von Prof. Hünig und Prof. Fromhold über experimentelle und medizinische Untersuchungen mit dem weltweit ersten, kommerziell erhältlichen Ultraschall-Tomographen, die im Jahre 1970 zur ersten internationalen Tagung für die Ultraschall-Tomographie führten. Diese Methode wurde in den nachfolgenden Jahren im Rahmen einer Optimierung der Bestrahlungsplanung auch in die Radio-Onkologie integriert. 
Seit 1972 ist die Radio-Onkologie ein selbstständiges Institut am Universitätsspital. Vor allem durch internationale Kooperationen mit renomierten onkologischen Arbeits- und Studiengruppen der USA konnte sich die Strahlentherapie als wesentliche Säule der onkologischen Therapie etablieren.

Frau PD Dr. Landmann zusammen mit Prof. Hünig

Basel als Vorreiter im Einsatz neuer Technologien
Die technischen Entwicklungen schritten rasant fort. So wurden im Jahre 1972 die ersten Untersuchungen mit dem Computertomographen im Bereich des Kopfes (EMI-Scanner) auf dem europäischen Kontinent vom Universitätsspital Basel im Rahmen onkologischer Fragestellungen durchgeführt. Hieran war die Radio-Onkologie massgeblich beteiligt, die diese Aufnahmen im Rahmen der Therapieplanung einsetzte. Im Jahre 1974 wurde am Universitätsspital Basel ein 8-MeV-Linearbeschleuniger (Abb5) der Firma Philips als erstes Gerät dieser Art in der Schweiz installiert (Abb3: Linearbeschleuniger mit Leitender MTRA Frau Binggl und Prof. Herbst, s.u.).

Mit dem Bezug einer neu eingerichteten Klinik im Jahre 1979 wurden zusätzlich ein 45-MeV-Betatron der Firma Brown und Boveri und ein Philips Simulator mit einem computerunterstützten Steuerungs- und Dokumentationssystem in Betrieb genommen. Die Bestrahlungsplanung wurde in den 1970er Jahren intensiv von der Radio-Onkologie als einem der grössten Institute in der Schweiz optimiert und seit 1985 mit Einführung eines eigenständigen Computertomographen 3-dimensional modernisiert.

Eine Besonderheit ist die seit 1979 betriebene moulagentechnische Werkstatt, die die erste im deutschsprachigen Raum darstellt und für die Herstellung von individuellen Moulagen, Feldblenden aus Newton’scher Legierung und separierenden Plastikzahnschienen sowie stabilen Gesichts- und Kopfmasken verantwortlich war. Zahlreiche, in Basel im jährlichen Rhythmus veranstaltete moulagentechnische Kurse sorgten für eine rasche und weite Verbreitung dieser innovativen Technik über die Grenzen von Basel und auch der Schweiz hinaus auf qualitativ hohem Niveau.

Vorreiter in der Erfassung und Verwaltung relevanter Patientendaten wurde das Institut für Radio-Onkologie durch die Einführung und Weiterentwicklung eines 1981 im Institut integrierten Systems zur Erfassung und Verarbeitung aller onkologisch relevanten klinischen Daten. Dieses System wurde in enger Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelt und erfasste bereits bis zum Ende des Jahres 1993 Daten von mehr als 12'000 Patienten (Rodars: Radiation Oncology Data Archiving and Retrieving System). Um die zunehmende Anzahl an Patienten Im Rahmen der zahlreichen interdisziplinären Therapien zu bewältigen, wurde das Institut für Radioonkologie durch einen zu Beginn der 1990er Jahre zusätzlich aufgestellten, voll digitalisierten und mit modernster Technik bis hin zum Multileafkollimator ausgestatteten Linearbeschleuniger erweitert. 

Im Jahre 1992 übernahm Frau PD Dr. Landmann – ab 2003 als Professorin – die  Leitung des Institutes als erste Chefärztin im Universitätsspital. In den Zeitraum ihrer Leitung fällt auch die Gründung der wissenschaftlichen Gesellschaft der Schweizer Radio-Onkologie (SASRO, seit 1996), die unter Mithilfe des Universitätsspitals Basel entstand. Von den MitarbeiterInnen de Institutes für Radio-Onkologie des Unversitätsspitals Basel wurde im Jahr 2005 der 9. SASRO-Kongress ausgerichtet.

Emanzipation der Radio-Onkologie
Im Jahre 2007 wurde dann die Radio-Onkologie als vollwertiges, klinisches und auch universitäres Fach durch die Einrichtung eines Extraordinariats aufgewertet. Derzeit steht eine vollständige Modernisierung des Institutes an, so dass seit Anfang 2008 das vollständige Spektrum der Radio-Onkologie – intensitätsmodulierte perkutane Strahlentherapie, stereotaktische Radiotherapie, bildgeführte Radiotherapie, Brachytherapie einschliesslich der permanenten interstitiellen Jod-Seed-Brachytherapie – auf höchstem klinischen und universitärem Niveau angeboten werden kann. Hierdurch sind auch in Zukunft die Betreuung und Behandlung der onkologischen Patienten ebenso wie die universitäre Lehre und Forschung auf höchstem klinischen und akademischen Niveau gesichert.

Radio-Onkologische Lehre
Die Radio-Onkologie und die Medizinische Physik engagierten sich teilweise bereits seit den 1960er Jahren im Rahmen des klinischen, theoretischen und praktischen Unterrichts bei der Ausbildung von Medizinstudenten und medizinisch-technisch-radiologischen Assistenten (MTRA). Die Intensität der Unterrichtsstunden wurde beständig ausgeweitet, so dass derzeit weit mehr als 30 Semesterstunden im studentischen Unterricht und mehr als 500 Stunden im Rahmen der MTRA-Ausbildung geleistet werden. Begann der Unterricht anfänglich mit Kreide und Wandtafel, so werden heute die modernsten Techniken der Projektionsmöglichkeiten eingesetzt. Dabei wird jedoch gezielt auf eine Nähe zwischen Lehrenden und Lernenden geachtet. Dies zeigt sich auch in den zahlreichen Praktika innerhalb des Institutes für Radio-Onkologie.

Fachvertreter und Kooperationspartner
Aufgrund seiner schon frühzeitig bedeutsamen Position hat das Institut für Radio-Onkologie auch zahlreiche aussergewöhnliche Persönlichkeiten hervorgebracht. Viele Chefärzte und Ordinarien der Radio-Onkologie haben wesentliche Teile ihrer Ausbildung innerhalb des Institutes für Radio-Onkologie am Universitätsspital Basel durchschritten: Der spätere Ordinarius für Radio-Onkologie an der Universitätsklinik von Genf, Prof. Dr. John Kurtz, war ebenso als Oberarzt am Universitätsspital Basel wie der spätere Direktor der Strahlenklinik und Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Erlangen, Prof. Dr. Rolf Sauer, der im Jahre 2006 sogar mit der Johann-Georg-Zimmermann Medaille und im Jahre 2002 mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet wurde. Er habilitierte sich zu Dosisleistungseffekten an der omnipotenten hämatopoetischen Stammzelle der Maus am Universitätsspital Basel. Auch Prof. Dr. Manfred Herbst, späterer Direktor der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie am Universtitäsklinikum Regensburg, begann seine Karriere in der Basler Radio-Onkologie. Sogar der erste Mister Schweiz (1996) und mehrfache Schweizer Meister und nationaler Cupsieger im Kickboxen Dr. Adel Abdel-Latif hat einen Teil seiner medizinischen Ausbildung am Institut für Radio-Onkologie verbracht.

Eine Vorreiterrolle besass und besitzt die Radio-Onkologie durch ihre ausgeprägte interdisziplinäre Zusammenarbeit, die deutlich über die Grenzen des Universitätsspitals hinausgeht. Hierzu zählen die Kooperationen bei der Betreuung onkologischer Patienten mit den umliegenden Spitälern der Kantone Basel-Stadt und -Land (Kantonsspitäler Bruderholz und Liestal; St. Claraspital) und durch die Etablierung einer grenzüberschreitenden Kooperation im Rahmen der südbadischen Tumorzentren (Tumorzentrum Lörrach; Brustzentrum Rheinfelden). Die Verträge mit den südbadischen Krankenversicherungen garantieren eine optimale Betreuung der Patienten dieser südbadischen Tumorzentren sowie eine gesunde finanzielle Basis des Institutes für Radio-Onkologie am Universitätsspital Basel. Auch bei der Gründung des ersten interdisziplinären Tumorzentrums am Universitätsspital (Kopf-Hals-Tumorzentrum) und den nachfolgenden Zentren für Erkrankungen der Brust und der Lunge war die Radio-Onkologie als Gründungsmitglied massgeblich beteiligt.


siehe Webseite Universitätsgeschichte Basel 1460–2010: Radio-Onkologie und Strahlentherapie