Die Universitäts-Frauenklinik Basel im Spiegel der vergangenen 50 Jahre

Frauenklinik

Vor einem halben Jahrhundert, im Jahr 1958, war Theodor Koller bereits seit 16 Jahren Lehrstuhlinhaber für Gynäkologie und Geburtshilfe am Basler Universitäts-Frauenspital. Unter seiner Planung und Führung wurde die zweite grosse Bauerweiterung der Klinik realisiert. 1896 war der Umzug der geburtshilflich-gynäkologischen Klinik vom Bürgerspital in das Gebäude des neuen Frauenspitals an der Klingelbergstrasse erfolgt, 1928 war der erste Erweiterungsbau unter Kollers Vorgänger Alfred Labhardt (Direktor der Klinik von 1916 bis 1942) bezogen worden. Eine räumliche Erweiterung der Klinik war dringend notwendig, weil die Zahl der zu behandelnden Patientinnen stetig anstieg. Ein wesentlicher Faktor war dabei die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende deutliche Verlagerung der Geburtshilfe aus dem häuslichen Bereich in die Klinik. Ein quantitativer Höhepunkt dieser Entwicklung war 1962 zu verzeichnen, als mit 5000 Geburten pro Jahr eine neue Rekordmarke verzeichnet wurde. Darüber hinaus erfuhren aber auch Indikationen und Zahl der gynäkologisch-operativen Eingriffe eine erhebliche Ausweitung. Die von Koller initiierte Erweiterung des Klinikgeländes hatte bis zum Umzug der Frauenklinik im Frühjahr 2003 Bestand.

Die modernisierte Klinik trug den Erfordernissen einer zeitgemässen, zunehmend den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnissen des Faches verpflichteten Gynäkologie und Geburtshilfe Rechnung. Neue Einrichtungen wie eine moderne Operationsabteilung, Laboratorien und eine Strahlenabteilung wurden geschaffen, damit einhergehend erfolgte auch eine erhebliche Aufstockung des Personals. Aber nicht nur die erstklassigen baulichen Voraussetzungen der Klinik wurden als Konzeption wegweisend für andere Kliniken Europas. Mit der Gründung von Spezialsprechstunden, wie z.B. der endokrinologischen Sprechstunde mit Hormondiagnostik, der «Sozialmedizin» und Ambulanzen für Krebsvorsorge mit Kolposkopie und exfoliativer Zytologie, entwickelten Koller und seine Mitarbeiter Strukturen, die sich in den kommenden Jahrzehnten als beispielhaftes Klinikmodell durchgesetzt und weiterentwickelt haben.

Der ärztliche Leiter dieser Klinik, Theodor Koller war ein international angesehener Wissenschaftler. Als er 1969, bei Erreichen der damals gültigen Altersgrenze von 70 Jahren, emeritiert wurde, stand er der Basler Frauenklinik 28 Jahre vor; keiner seiner Vorgänger, und bisher auch keiner seiner Nachfolger, hatte das Amt des Klinikdirektors und Lehrstuhlinhabers länger inne. Koller galt als aussergewöhnlich vielseitiger und hilfsbereiter akademischer Lehrer, dem die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sehr am Herzen lag; darüber hinaus genoss er den Ruf eines initiativen und warmherzigen Arztes. Theodor Koller starb 86-jährig in Basel; bis zu seinem Tod nahm er regen Anteil an der Entwicklung «seiner» Frauenklinik. Kollers Idee einer Klinik für Mutter und Kind darf als Vorreiter der modernen perinatalogischen Zentren gesehen werden. Das Einrichten einer neonatologischen Intensivabteilung in direkter Nachbarschaft zur Gebärabteilung bildete hier einen wichtigen Baustein. Darüber hinaus wurden mit der Anwesenheit der Väter bei der Geburt und das Einführen eines Rooming-in Systems familienfreundliche Neuerungen in die geburtshilfliche Praxis eingeführt, die inzwischen als Standard gelten, damals aber sehr progressiv waren und von konservativen Geburtshelfern nicht selten als „neue Mode" belächelt wurden.

Der eine ist Hubert de Watteville. Er war bereits ein Schüler Labhardts. Er wirkte ab 1942 als Privatdozent in Basel, ab 1944 in Zürich. Von 1946 bis 1976 war er ordentlicher Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität Genf und gleichzeitig Chefarzt der Frauenklinik (Maternité) am Kantonsspital Genf. Besondere Bedeutung und Bekanntheit erlangte er als einer der Initiatoren der «Fédération Internationale de Gynécologie et d`Obstétrique» (FIGO), deren erster Präsident er 1954 wurde. Nach Ablauf seiner Amtszeit als Präsident setzte er seine Tätigkeit für diese international operierende und anerkannte Institution als langjähriger Generalsekretär fort. Die FIGO gilt heute weltweit als eine der grössten und mitgliederstärksten internationalen Ärztevereinigungen. 

Otto Käser wurde 1969 Kollers Nachfolger als Direktor der Basler Univeristäts-Frauenklinik. Nachdem sein Vorgänger mit dem Ausbau der Klinik den Grundstein für die Entwicklung der Frauenklinik zu einem europäischen operativen Referenzzentrum gelegt hatte, wurde diese Entwicklung von Käser und seinen Mitarbeitern in den nächsten Jahren zur Vollendung gebracht. In der Amtszeit Otto Käsers in Basel wurde, parallel zu einer gleichlaufenden Bewegung in den deutschsprachigen Ländern, für die Frauenheilkunde eine Disziplin ausgebaut, die ab den fünfziger Jahren zunehmend Eingang in das Fach fand: die Senologie, die Lehre der Erkrankungen der weiblichen Brust. Mit diesem neuen Zweig erfuhr das Fach eine wesentliche Erweiterung ihres Spektrums. Schnell hat die Behandlung der Volkskrankheit Brustkrebs (nach neueren Angaben erkrankt etwa jede achte Frau im Verlauf ihres Lebens an einem Mammakarzinom), deren operative Behandlung bis dahin im Wesentlichen den Chirurgen vorbehalten war, die erste Position unter allen onkologischen Behandlungen der Frauenklinik eingenommen; diese Position behauptet sie auch heute noch unangefochten. Noch zu Käsers Zeit als Klinikdirektor wurde eine der wesentlichen Innovationen in der Behandlung des Mammakarzinoms etabliert, die brusterhaltende operative Therapie; vielen Frauen konnte damit, unter voller Wahrung der onkologischen Sicherheit, die traumatische Erfahrung der Brustamputation erspart werden. Neben der Diagnostik und operativen Therapie des Mammakarzinoms erfuhr auch die systemische Therapie, im Wesentlichen endokrine Behandlungsmethoden und Chemotherapien, in den nächsten Jahren eine rasante Fortentwicklung. Heute stellt die Behandlung der Brust ein Paradebeispiel für die interdisziplinäre Tätigkeit dar. In Brustzentren arbeiten unter anderem die Disziplinen Gynäkologie, Chirurgie, plastische Chirurgie, Onkologie, Radiologie, Radioonkologie, Pathologie und Psychoonkologie zum Wohle der Patientinnen zusammen.

Parallel zu dieser Entwicklung erlebte auch die operative Gynäkologie durch die Einführung der endoskopischen Chirurgie in den sechziger Jahren eine Revolution.  Nachdem sich die Technik und ihre Befürworter anfänglich heftigen Anfeindungen seitens konservativer Operateure gegenübersahen (in den siebziger Jahren wurde von Kollegen vorgeschlagen, bei Kurt Semm, dem bekanntesten Pionier der neuen OP-Technik, ein Hirnuntersuchung durchzuführen, da nur jemand mit einem Hirnschaden laparoskopische Chirurgie durchführen könne; diese wurde gar als «unethisch» gebrandmarkt) erfolgte später eine um so rasantere Verbreitung. Das Spektrum von und die Indikationen für minimal-invasive Eingriffe wurden in den Folgejahren sukzessive erweitert. Während zunächst diagnostische Laparoskopien und kleinere operative Eingriffe (z.B. Sterilitätsdiagnostik, Tubensterilisationen und Entfernung von Eierstockszysten) im Vordergrund standen, wurde die neue Technik rasch auch bei Indikationen, die früher klassischerweise einen Bauchschnitt erforderten (z.B. die Operationen bei Extrauteringraviditäten, Eierstocksentfernungen, Lösung von Verwachsungen), zur Standardmethode. Heute werden auch zunehmend ausgewählte gynäko-onkologische Eingriffe per Laparoskopie durchgeführt; dieses galt noch vor wenigen Jahren als undenkbar. 

Käser verstand früh, dass die Entwicklung einer funktionierenden Universitäts-Klinik nicht mehr nur auf den Schultern eines Einzelnen liegen konnte. In einer Zeit der zunehmenden Subspezialisierung und der rasant anwachsenden Wissensmenge innerhalb dieser Subgruppen konnte die „monotheistische" Klinikstruktur mit einem allmächtigen Chef an der Spitze, der alle Gebiete seines Faches gleich kompetent überblickt, nicht mehr länger als erfolgversprechendes Modell angesehen werden.

In Anlehnung an das amerikanische Modell des Departments führte Käser Abteilungen („Divisions") ein, in denen die vier Subspezialitäten des Faches Frauenheilkunde (Geburtshilfe/Perinatalmedizin, Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, Endokrinologie/Reproduktionsmedizin, Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik) von Abteilungsleitern repräsentiert sind. Innerhalb dieser Subdisziplinen wurden dann weitere Spezialsprechstunden eingerichtet, so dass garantiert werden konnte, dass die Patientinnen der Basler Universitäts-Frauenklinik stets auf hohem internationalen Niveau behandelt wurden. Neben der Etablierung der Abteilungen war auch die Einführung eines Klinikdirektoriums Zeichen einer innovativen und progressiven Klinikorganisation. Die Leitung der Klinik wurde dabei auf mehreren Schultern verteilt („partizipative Führung"). Neben Käser und seinen vier stellvertretenden klinischen Direktoren waren auch eine Vertreterin der Pflege, ein administrativ tätiger Mitarbeiter und Vertreter der Ober- und Assistenzärzte in diesem Gremium tätig. 

Als Nachfolger von Otto Käser wurde Hans Ludwig berufen. Seine Forschungsschwerpunkte waren Blutgerinnung, experimentelle Perinatologie, die Ultramorphologie des Genitaltraktes und die Reproduktionsmedizin. In seine Amtszeit fällt der Beginn und der Ausbau der assistierten Befruchtung, 1985 wurde das erste Basler Kind nach in-vitro-Fertilisation geboren. Ludwig legte 1989 die Klinikleitung nieder. Ludwigs Zeit als Klinikchef muss rückwirkend als unglücklich bezeichnet werden. Schwierigkeiten innerhalb der Klinik und mit den vorgesetzten Behörden veranlassten Ludwig 1988, die Klinikleitung niederzulegen. 

Nach Hans Ludwig übernahm Alfonso Castaño-Almendral die Klinik als interimistischer Leiter. Am Ende seiner Amtszeit 1995 konnte Almendral auf ein aussergewöhnlich langes Interregnum zurückblicken.

Der Spanier Almendral wurde 1933 in Zamora geboren. Seine Studienjahre führten ihn nach Salamanca und Madrid. Nach der Facharztausbildung (neben Geburtshilfe und Gynäkologie auch in allgemeiner Chirurgie) setzte er seine berufliche Tätigkeit in Deutschland fort. 1966 habilitierte er in Göttingen, 1967 wechselte er zu Otto Käser nach Frankfurt/Main, dort wurde er 1971 auch zum Honorarprofessor an der dortigen J.W. Goethe-Universität ernannt. 1970 folgte Almendral Otto Käser nach Basel. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt lag in den Themen der gynäkologischen Röntgendiagnostik und Strahlentherapie. Ein weiterer Schwerpunkt war die Gynäkoonkologie, hier machte er sich auch als versierter Operateur einen Namen. 
Während seiner Amtszeit war Almendral mit immensen Sparvorgaben der Spitaldirektion konfrontiert. Die damit unter anderem verbundene erhebliche Verminderung der ärztlichen Stellen konnte damals nur dank grösstem Einsatz aller in der Klinik tätigen Personen ausgeglichen werden. Die Wahl des langjährigen leitenden Arztes Siegfried Heinzl 1991 zum Chefarzt des Basler Bruderholzzspitals und der damit verbundene Weggang weiterer erfahrener Klinikmitarbeiter verschärfte die Situation so weit, dass für eine beschränkte Zeit sogar „Nothelfer" aus befreundeten ausländischen Kliniken rekrutiert werden mussten, um die Leistungsfähigkeit der Klinik aufrecht zu erhalten. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Chefarztes blieb Almendral ein stets wacher und kritischer Begleiter der Frauenklinik. 

1995 übernahm Wolfgang Holzgreve die Leitung der Frauenklinik. Vor seiner Ernennung war der 1955 in Westfalen geborene Holzgreve an der Universitäts-Frauenklinik Münster tätig. Dort erwarb er sich vor allem auf dem Gebiet der pränatalen Medizin schnell weltweite Reputation; bereits mit 31 Jahren wurde er habilitiert. Noch stärker als seine Vorgänger Käser und Ludwig, die bereits intensiv internationale Kontakte pflegten, steht Holzgreve für einen internationalen Ansatz in Forschung und Lehre. Früh geprägt durch seine Erfahrungen im Studium (Berkely, dort Ausbildung zum Master of Science), und durch einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt in San Francisco Anfang der achtziger Jahre, ist er ein typischer Vertreter der „global science community". In seiner Basler Zeit baute er auf dem Gebiet der Stammzellforschung eine weltweit anerkannte Arbeitsgruppe auf. Die wissenschaftlichen Ambitionen und Leistungen der Basler Frauenklinik, gespiegelt auch in der Vielzahl von Buchveröffentlichungen, Buchkapiteln und Publikationen in Fachzeitschriften von internationalem Renommee, hat ein Ausmass erreicht, den keiner seiner Vorgänger je erreichte. Aktuell wurde in der Bewertung aller deutschsprachigen Hochschullehrer der Frauenheilkunde für ihn der höchste Impact-Index ermittelt. Ausdruck der akademischen Leistungsfähigkeit der Klinik sind auch die 11 Habilitationen, die in Holzgreves Amtszeit erteilt wurden (Athanassios Dellas, Dorothee Gänshirt, Verena Geissbühler, Sinue Hahn, Irene Hösli, Olav Lapaire, Heinz Müller, Daniel Surbek, Edward Wight, Rosanna Zanetti-Dällenbach, Xiao Yan Zhong). Das hohe Ansehen Wolfgang Holzgreves zeigt sich auch in der Vielzahl internationaler Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften und vier Ehrendoktoraten. 

Die internationale Orientierung der Klinik spiegelt sich auch in ihrer heutigen Organisationsstruktur. In der von Otto Käser begründeten Tradition ist sie dem amerikanischen Modell des Departments entlehnt. Die Gesamtleitung des Departments wird von einem Klinikvorsteher („Chair") ausgefüllt. Dieser vertritt das Departement nach aussen gegenüber der Spitaldirektion und der Politik; als Klinikmanager und Koordinator ist er unter anderem für die Beschaffung der materiellen Grundlagen verantwortlich, hält den klinisch orientierten Vertretern der „Divisions" den Rücken frei, und ist wissenschaftlicher Mentor. Essentiell an dieser Struktur ist, dass nicht autonome Abteilungen nebeneinander (mit der Gefahr einer minimalen Kommunikation untereinander), oder gar in Konkurrenz entstehen, sondern, dass die Abteilungen miteinander verzahnt werden und untereinander ein kollegiales Verhältnis besteht. Nur so ist zu gewährleisten, dass Patientinnen, deren Krankheitsbild sich nicht immer an festgelegte theorielastige Kategorien hält, übergreifend optimal behandelt werden. Mit diesem Konzept trat Holzgreve auch Bestrebungen entgegen, das Gesamtfach „Geburtshilfe und Gynäkologie" sowie Forschung, Lehre und Krankenversorgung zu fragmentieren. 

Mit der Umsetzung des Departmentmodells ist es Holzgreve, der in seiner Anfangszeit (wie auch sein Vorgänger Ludwig) persönlichen Anfeindungen ausgesetzt war , gelungen, Kontinuität und Innovation in die Frauenklinik zurückzubringen. Die derzeitige Stabilität zeigt sich auch daran, dass jetzt bereits seit 2001 ein unverändertes ärztliches Leitungsteam, bestehend Irene Hösli (Abt. für Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin), Johannes Bitzer (Abt. für Gyn. Psychosomatik und Sozialmedizin), Christian de Geyter (Gyn. Endokrinologie und Reproduktionsmedizin) und Edward Wight (Gynäkologie und Gyn. Onkologie) die Klinik trägt und dabei ein Arbeitsklima geschaffen hat, das von gegenseitigem Respekt und Loyalität geprägt ist. 
Zum 1. November 2008 folgte Wolfgang Holzgreve dem Ruf auf die Position des Leitenden Ärztlichen Direktors und Vorsitzenden des Klinikumvorstandes der Universität Freiburg im Breisgau. Als sein interimistischer Nachfolger wurde Johannes Bitzer mit der Position des Klinikvorstehers und Chefarztes der Basler Universitäts-Frauenklinik betraut. 

Derzeit werden in der Universitäts-Frauenklinik Basel etwa 2000 Kinder pro Jahr geboren (und mit ihren Müttern auf der Mutter-Kind-Station betreut), 3500 gynäkologische Operationen durchgeführt (und die Patientinnen postoperativ bis zur Entlassung gepflegt) und etwa 60000 ambulante Konsultationen in der allgemeinen Poliklinik und zahlreichen Spezialsprechstunden vorgenommen, eine grosse und attraktive Aufgabe. Die Wandlungen des klinischen Alltags in den letzten 50 Jahren sind dabei nicht zu übersehen. Eine überaus wichtige Rolle spielte dabei auch die Wandlung der Rolle der Frau in der Gesellschaft.


siehe Webseite Universitätsgeschichte Basel 1460–2010: Die Universitäts-Frauenklinik Basel im Spiegel der vergangenen 50 Jahre