1625 bis 1818: Ein steiniger Weg ins "schwarze Jahrhundert"
Der erste Ordinarius nach der letzten Pestepidemie war Johann Heinrich Glaser 1667-1668. Er hatte bereits 1664 erfolglos versucht Professor der Mathematik zu werden. Nach diesem Fehlschlag erhielt er die Professur für Griechisch und nach der Pestepidemie die Professur für Anatomie und Botanik. Er verfasste einen "Tractatus de Cerebro" und verewigte seinen Namen in der Fissura glaseri (F.petrotympanica). "Seine Behauptung, das Hirn werde bei Vollmond grösser und dies bedinge Aufregung und Schlafwandeln" hat sich allerdings nicht als Lehrmeinung durchsetzen können.
Über seinen Nachfolger Johann Rudolf Burckhardt ist ausser einem Bericht über einen Geisteskranken, der Messer und andere feste Gegenstände verschluckte, nichts Erwähnenswertes bekannt.
Auf Burckhardt folgt Jakob Roth, der sich durch seine Horaz-Übersetzung nicht aber durch seine medizinischen Publikationen einen Namen gemacht hat. Von Nicolaus Eglinger wird behauptet, er habe das Ordinariat seiner Frau zu verdanken gehabt. Sein Nachfolger Johann Jakob Harder erhielt durch die Machenschaften der Frau Eglingers erst 1687 das Ordinariat für Botanik und Anatomie. Vorher musste er sich mit einer Professur für Rhetorik, später mit einer Professur für Physik zufrieden geben. Harder wurde seinerzeit im deutschsprachigen Raum zu einem der berühmtesten Anatomen. Er war ein Mann grosser Ausstrahlung und ein begeisterter Lehrer. Seine Publikationen machten ihn im In- und Ausland so berühmt, dass er aufgrund seiner vielen Ämter später nicht mehr zur wissenschaftlichen Arbeit kam. Sein Hauptwerk "Apiarium" (Bienenhaus) umfasst einhundert Beschreibungen medizinischer Kuriositäten. Wichtig ist aber seine Publikation über das Innenohr, die zum Teil auf mikroskopischen Studien beruht. Verewigt wurde sein Name durch die Entdeckung einer akzessorischen Tränendrüse beim Hirsch, die heute noch als Harder'sche Drüse bekannt ist.
Tabelle der ordentlichen Professoren 1625-1711
Name und Heimat | Anatomie gelehrt | Theoretische Medizin gelehrt | Praktische Medizin gelehrt | Nichtmedizinische Fächer gelehrt |
Von Brunn Joh. Jakob, Basel | 1625 - 1629 | 1629 - 1660 | ||
Bauhin Joh. Caspar, Basel | 1629 -1660 | 1660 - 1685 | ||
Bauhin Hieronymus, Basel | 1660 - 1664 | 1664 - 1667 | ||
Burckhardt Joh. Rudolf I, Basel | 1664 - 1667 | 1667 - 1685 | 1685 - 1687 | Mathematik ab 1661 |
Glaser Joh. Heinrich, Basel | 1667 - 1675 | Griechisch ab 1665 | ||
Roth Jakob, Basel | 1675 - 1685 | 1685 - 1687 | 1687 - 1703 | |
Eglinger Nicolaus, Basel | 1685 - 1687 | 1687 - 1703 | 1703 - 1711 | Physikus ab 1675 |
Harder Joh. Jakob Basel | 1687 - 1703 | 1703 - 1711 | Rhetorik ab 1678 Physikus ab 168 |
Tabelle der ordentlichen Professoren 1711-1800
Harders Nachfolger war Theodor Zwinger II, der beliebteste Arzt in "Stadt und Land". Durch viele kleine Publikationen war er bestens bekannt. Er war Mitglied der Leopoldina und der Königlichen Gesellschaft in Berlin. Man überhäufte ihn mit Ehren und versuchte ihn - allerdings vergeblich - für Leyden, Kassel und Berlin zu gewinnen. Lange schon hätte er eine Professur in Basel verdient gehabt, doch erst mit dem Tode Roths konnte er die Professur für Anatomie und Botanik übernehmen. Er war "ausgestattet mit allen Eigenschaften, die einen grossen Arzt und klinischen Lehrer ausmachen: Beobachtungsgabe, die Kunst Typisches von Zufälligem zu scheiden, Klarheit des Denkens und vieles andere mehr". Sein "Theatrum Praxeos Medicae" dürfte das frühste Reallexikon der praktischen Medizin gewesen sein. Dennoch sagt der Chronist: "Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind gross an Volum, aber von geringem wissenschaftlichem Wert".
Mit Emanuel König I ging es wieder wissenschaftlich bergab. Sein "Guldener Arzneischatz neuer niemals entdeckter Medikamenten" ist eine Sammlung von "Quacksalbereien, Haus-, Geheim- und Zaubermitteln aus aller Herren Länder", die einer Publikation im "Journal of Irreproducible Results" würdig gewesen wäre.
Johann Heinrich Staehelin und Johann Rudolf Mieg zeichneten sich im Gegensatz zu König wenigstens durch ihr grosses Engagement in der Lehre aus.
Die Situation der Universität wird am Besten durch folgende Entscheidung illustriert:
"Man suchte den jungen Leuten das Leben in Basel so angenehm wie möglich zu machen. 1681 wurde deshalb eine Reitschule eingerichtet. Der Rat bewilligte Hafer, Heu und Stroh und "semel pro semper" 100 Reichstaler. Wir hören auch von der Anstellung eines Reit-, Fecht- und Tanzmeisters im Jahre 1726. Das half nicht viel. Saufen und raufen waren in Basel nicht Mode; man lebte gesittet und langweilig; Schlägereien mit Bürgern und Scharwache waren selten. Die Studenten spielten nicht die gleiche Rolle wie in den deutschen Landstädtchen Giessen, Erlangen und Marburg."
Name und Heimat | Anatomie gelehrt | Theoretische Medizin gelehrt | Praktische Medizin gelehrt | Nichtmedizinische Fächer gelehrt |
Zwinger Theodor II, Basel | 1703 - 1711 | 1711 - 1711 | 1711 - 1724 | Eloq. ab 1684 Physikus ab 1687 |
Staehlin Joh. Heinrich, Basel | 1711 - 1721 | Eloq. ab 1706 | ||
Koenig Emanuel I, Basel | 1711 - 1731 | Griech. ab 1695 Physikus ab 1703 | ||
Zwinger Joh. Rudolf, Basel | 1721 - 1724 | 1724 - 1777 | Logikus ab 1712 | |
Mieg Joh. Rudolf, Basel | 1724 - 1731 | 1731 - 1733 | ||
Koenig Emanuel II, Basel | 1732 - 1733 | 1733 - 1752 | ||
Bernoulli Daniel, Basel | 1733 - 1750 | Physikus 1750 | ||
Zwinger Friedrich, Basel | 1751 - 1752 | 1752 - 1776 | ||
Staehlin Joh. Rudolf, Basel | 1753 - 1776 | 1776 - 1800 | ||
De La Chenal Wernhard, Basel | Anatomie 1776 - 1798 | Botanik 1776 - 1800 |
In den sieben Jahrzehnten zwischen 1730 und 1800 waren mehrere ehrenwerte, tüchtige und pflichttreue Ordinarii im Amt. Die bedeutendsten unter ihnen sind J.R. Zwinger, D. Bernoulli, W. de La Chenal und A. Mieg.
Den grössten Ruhm unter ihnen erlangte der Physiker und Mathematiker Bernoulli, der 1723 zunächst als Anatom nach Basel und 1750 auch noch als Professor für Physik berufen wurde. Seine wenigen medizinischen Publikationen sind inhaltlich besonders interessant. Er konnte unter anderem erstmals nachweisen, dass sich das Zwerchfell bei der Ausatmung kontrahierte. Die von ihm entwickelte Wahrscheinlichkeitsrechnung spielt in der modernen medizinischen Forschung eine fundamentale Rolle.
Tabelle der ordentlichen Professoren 1777-1829
Name und Heimat | Anatomie gelehrt | Theoretische Medizin gelehrt | Praktische Medizin gelehrt | Nichtmedizinische Fächer gelehrt |
Mieg Achilles, Basel | 1777 - 1799 | |||
Stückelberger Joh. Jakob, Basel | 1801 - 1819 | Physikus zwischen 1805 - 1815 | ||
Hagenbach Carl Friederich, Basel | 1801 - 1808 Extraordinariat für Anatomie 1798 | 1808 - 1818 | ||
Burckhardt Joh. Rudolf II, Basel | Anatomie 1808 - 1822 Botanik 1808 - 1826 | 1804 - 1808 | 1826 - 1829 |
Achilles Mieg verdient hervorgehoben zu werden, weil er in Basel erstmals gegen Pocken impfte, und zwar die Kinder Bernoullis. Insgesamt führte er über 100 Impfungen (Variolationen = Einimpfungen echter Pocken) ohne Zwischenfall durch.
In den Jahren 1799-1800 starben alle medizinischen Ordinarii. "Die Medizinische Fakultät ist heute ausgestorben", schreibt an Silvester 1800 "mit Gruss und Bruderliebe" der Basler Regierungsstatthalter Zschokke dem Helvetischen Direktorium in Bern.
Da sich Regenz und Erziehungsrat über die Wahlprozedere der Medizinprofessoren zerstritten hatten, wurden zwei Professoren - J.J. Stückelberger und C.F. Hagenbach - vom "Supremo totius Republicae Helveticae Consilio" eingesetzt. Dieser Vorgang haftete den beiden neuen Ordinarien in Universitätskreisen stets als Makel an. Der Erziehungsrat verpflichtete die neuen Professoren, ihre Vorlesungen auf Deutsch abzuhalten. Die Vorlesungsankündigungen von Stückelberger blieben während seiner ganzen Amtszeit von 18 Jahren unverändert: Im Sommer machte Stückelberger Botanik-Exkursionen, im Herbst las er Osteologie und im Winter gab er Anatomie und Sezierübungen.
In den Jahren 1806 - 1814 stand das Schicksal der Medizinischen Fakultät wieder einmal auf der Kippe. Nur 4 Studenten hatten sich immatrikuliert, und es gab keine einzige Promotion.
Tabelle der ordentlichen Professoren 1818-1900
Zeitperiode | Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe | Physiologie / Pathologie | Encyklopädie und Materia medica | Medizinische Klinik | Chirurgie und Geburtshilfe | Botanik seit 1818 zur philosoph. Fakultät |
1818-1829 | Jung 1822-1829 Burckhardt Anatomie 1818-1822 | Vakant 1818-1822 Meissner F. 1828-1829 | Burckhardt 1818-1826 Röper 1828-1829 | Vakant 1818-1826 Burckhard 1826-1829 | Ab 1822 gesetzlich mit Anatomie vereinigt | Burckhardt 1818-1826 Röper 1826-1829 |
Anatomie und medizinische Klinik | Physiologie / Pathologie | Encyklopädie und Materia medica | Medizinische Klinik mit Anatomie vereinigt | Chirurgie und Geburtshilfe | Botanik bei der philosoph. Fakultät | |
1830-1835 | Jung | Meissner F. bis 1837 | Röper bis 1836 | Mieg | Röper | |
Anatomie und medizinische Klinik | Physiologie / Pathologie | Botanik | Medizinische KlinikLehrstuhl aufgehoben | Chirurgie und Geburtshilfe | ||
1836-1840 | Jung | Miescher I. 1837-1840 | Meissner F. | Mieg | ||
1840-1844 | nominell Jung faktisch: Miescher I. bis 1844 | Miescher I Bis 1844 | Meissner F. | Mieg | ||
1844-1850 | nominell: Jung faktisch: Ecker | Ecker 1844-1850 | Meissner F. | Mieg | ||
Anatomie und Physiologie | Pathologie | Botanik | Medizinische Klinik kein Lehrstuhl | Chirurgie und Geburtshilfe | ||
1850-1855 | Bruch | Miescher I | Meissner F. | Mieg | ||
Anatomie und Physiologie | Pathologische Anatomie (gesetzl. Lehrstuhl 1855) | Botanik | Medizinische Klinik (gesetzl. Lehrstuhl 1855) | Chirurgie | Geburtshilfe | |
1855-1857 | Meissner G. | Miescher I. | Meissner F. | Jung | Mieg | |
1857-1864 | His | Miescher I. | Meissner F. | Jung | Mieg 1857-1862 Socin 1862-1864 | |
1865-1872 | His | Miescher I. | (Botanik 1866 zur philosoph. Fakultät) | Liebermeister Bis 1872 | Socin 1865-1871 | Bischoff 1868 - 1871 |
Anatomie | Physiologie (getrennt von Anatomie 1872/73) | Pathologische Anatomie | Medizinische Klinik (gesetzl. Lehrstuhl 1855) | Chirurgie | Psychiatrie (gesetzl. Lehrstuhl 1875) | |
1872-1900 | Hoffmann 1872-1877 Kollmann 1878-1913 | Miescher II 1872-1895 Metzner 1895- | Roth 1872-1898 Kaufmann 1898-1907 | Immermann 1871-1899 Müller 1899-1902 | Socin 1871-1899 Hildebrand 1899-1904 | Wille 1875-1904 |
Geburtshilfe (gesetzl. Lehrstuhl 1887) | Hygiene (gesetzl. Lehrstuhl 1892) | |||||
1872-1900 | Bischoff 1872-1887 Fehling 1887-1894 Bumm 1894-1901 | Burckhardt, Ablrecht 1892- |
1813 wurde der Grosse Rat der Stadt aktiv und erliess ein neues "Gesetz wegen besserer Einrichtung löblicher Universität". Die Arbeiten an der Reform der Universität wurden aber durch Kriegswirren von Dezember 1813 bis Dezember 1817 unterbrochen. Im Dezember 1817 wurde beschlossen, "die Medizinische Fakultät nicht eingehen zu lassen, sondern beizubehalten und zu erweitern". Mit dem Erlass des Universitätsgesetzes von 1817 war die Medizinische Fakultät in die medizinische "Neuzeit" eingetreten. Die alte Aufteilung in Anatomie, Theoretische und Praktische Medizin wurde verlassen und Lehrstühle für definierte Fächer geschaffen. Damit wird ein neues Kapitel aufgeschlagen: "Die Geschichte der Lehrstühle".
Mit der Umsetzung liess man sich Zeit, gab es doch nur einen Studenten der Medizin. 1818 begann der Ausbau der Medizinischen Fakultät. Viele gesetzliche Lehrstühle wurden eingerichtet. 1822 kam C.G. Jung als Professor der Anatomie (vereinigt mit Chirurgie und Geburtshilfe). Jung widmete sich mit grossem Elan dem Ausbau der Anatomie und der Spitalabteilungen. Die politischen Wirren hielten aber immer noch an. Im Jahr 1833 trennten sich Stadt und Landschaft. "Die kleine Einwohnerschaft von Basel-Stadt (ca. 23'000 Seelen) besass Treue, Mut und Opferfreudigkeit genug", um ihre Universität dennoch nicht untergehen zu lassen.
1866 war für die Medizinische Fakultät ein bedeutendes Jahr, wurde doch ein sorgfältig vorbereitetes Universitätsgesetz beschlossen. Die Zahl der gesetzlichen Lehrstühle wuchs jetzt auf 4, 5 und schliesslich 8.