Die Geschichte der Rechtsmedizin

An der medizinischen Fakultät unserer Universität, der ältesten der Schweiz, wurden Vorlesungen zu gerichtsmedizinischen Themen zunächst nur gelegentlich von Vertretern verschiedener Fächer angeboten, da es ein einheitliches Fach noch nicht gab, so sind in den Annalen der Universität ab 1800 gerichtsmedizinische Vorlesungen durch J. J. Stückelberger C. G. Jung und andere erwähnt. Regelmässige Vorlesungen wurden dann erst ab 1840 von Ludwig de Wette angeboten, die Studierenden nahmen auch an gerichtlichen Sektionen teil. Auf de Wette folgte Ernst von Sury der 1890 als ausserordentlicher Professor den ersten Lehrauftrag für gerichtliche Medizin erhielt. Nach seinem plötzlichen Herztod mit nur 45 Jahren wurde sein Nachfolger Adolf Streckeisen, von 1889 an hielt er Vorlesungen über Gerichtsmedizin sowohl für Mediziner als auch für Juristen.

1917 wurde Salomon Schönberg zum Gerichtsarzt im Nebenamt mit einem Lehrauftrag für gerichtliche Medizin gewählt, mit Beschluss des Grossen Rates vom Januar 1919 gab es dann den hauptamtlichen Gerichtsarzt, im Ratschlag heisst es: „Von der bisher mehr zufälligen Vereinigung der beiden Ämter – Gerichtsarzt und Lehrauftrag für Gerichtsmedizin – darf für die Zukunft nicht mehr abgewichen werden, wenn nicht die Arbeit des einen oder des anderen leiden soll. Zum Gerichtsarzt dürfen nur solche gewählt werden, die fähig sind, Vorlesungen über Gerichtsmedizin zu halten.“ Die Einrichtung eines eigenen gerichtsmedizinischen Institutes wurde ins Auge gefasst, es dauerte aber noch bis 1925, bis Schönberg zwei grosse Räume im physikalischen Institut als Provisorium zugewiesen wurden. Der damalige Institutskredit betrug 1’ 500 Fr., Schönberg hatte keinen Assistenten und musste jährlich etwa 100 Obduktionen und 1000 sonstige Untersuchungen bewältigen. Obwohl er als ursprünglicher Pathologe sich quasi autodidaktisch in die Gerichtsmedizin einarbeiten musste, ist er doch der Begründer der modernen wissenschaftlichen forensischen Medizin in Basel, dies kam auch darin zum Ausdruck, dass er 1919 zum Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Gerichtsmedizin gewählt wurde. Erst 1953 konnte er mit 74 Jahren als Gerichtsarzt zurücktreten, weil es über Jahre nicht gelungen war, einen Nachfolger zu finden.

Die neuere Zeit

1953 wurde Jürg im Obersteg zum Gerichtsarzt gewählt. Da das Institut, das zu dieser Zeit im physikalischen Institut der Universität Basel untergebracht war, den modernen Ansprüchen nicht mehr genügte, plante Im Obersteg Ende der Fünfzigerjahre einen Neubau. Nach dem Ja der Regierung und intensiver Bautätigkeit wurde 1960 das neue Institut an der Pestalozzistrasse 22 rechtzeitig zum 500 Jahr-Jubiläum der Universität eingeweiht. Es umfasste neben der Gerichtsmedizin neu auch eine forensisch-toxikologische Abteilung, die unter der Leitung von James Bäumler stand. Beim Wechsel der Direktion von Jürg im Obersteg zu Max Lüdin wurde die forensisch-toxikologische Abteilung unter dem Namen „Gerichtschemisches Laboratorium“ 1970 von der Gerichtsmedizin abgetrennt. Beide Abteilungen verblieben Dienststellen des damaligen Polizeidepartements.

1985 erfolgte in der Gerichtsmedizin der Wechsel von Max Lüdin zu Richard Dirnhofer, der anfangs der Neunzigerjahre das grosse Potenzial der molekularbiologischen Untersuchungen erkannte und eine forensische DNA-Abteilung in der Gerichtmedizin einführte. Dirnhofer hatte zu dieser Zeit auch die Idee, in Basel ein Zentrum für Forensische Wissenschaften zu gründen, doch fand dieser Plan politisch nicht den notwendigen Rückhalt. 1988 übernahm Thomas Briellmann als Gerichtschemiker die Nachfolge von James Bäumler.

Nach dem Wechsel von Richard Dirnhofer nach Bern verblieb die Gerichtsmedizin einige Jahre unter der interimistischen Leitung von Otmar Jakob. Erst 1997 wurde mit Volker Dittmann die Direktion des Hauses wieder besetzt und das Gerichtschemische Laboratorium als eigenständige Abteilung ins gerichtlich-medizinische Institut integriert. Unter dem neuen Namen ‚Institut für Rechtsmedizin (IRM)’ wurde gleichzeitig der Wechsel vom Polizei- und Militärdepartement ins damalige Sanitätsdepartement, heute Bereich Gesundheitsschutz im Gesundheitsdepartement, vollzogen. Da in der modernen Rechtsmedizin die DNA-Analyse eine unverzichtbare Methode darstellt, wurde unverzüglich mit dem Wiederaufbau des mit Dirnhofer  komplett nach Bern abgewanderten DNA-Labors begonnen,  so dass sich das IRM seither aus drei gleichberechtigten Abteilungen, der Forensischen Medizin, der Forensischen Chemie und Toxikologie und der Forensischen Genetik zusammensetzt.

Der 2004 mit der Forensischen Genetik begonnene Akkreditierungsprozess konnte 2010 mit der Akkreditierung der Forensischen Medizin erfolgreich abgeschlossen werden, so dass heute das IRM Basel als einziges Institut in der Schweiz alle seine Abteilungen durch die Schweizerische Akkreditierungsstelle akkreditiert hat.

Heute ist das IRM Basel, das über alle in der täglichen Praxis erforderlichen forensischen Untersuchungsverfahren verfügt und technisch als eines der modernsten im deutschen Sprachraum gelten kann, ein geschätzter Dienstleister und Ausbildner für die Strafverfolgungsbehörden. Gleichzeitig ist es als universitäres Institut stark in die Lehre eingebunden und betreibt überwiegend anwendungsbezogene Forschung auf den Gebieten der modernen Rechtsmedizin wie die forensische Computertomographie, die Laser-Mikrodissektion in der forensischen Genetik und die forensisch-toxikologische Haaranalytik.

Aus: Die Geschichte der Rechtsmedizin in Basel
Juristische und medizinische Wurzeln – von Hammurabi zu Vesalius

Thomas Briellmann, Volker Dittmann, Holger Wittig

 

Erschienen in: Schuldig: Verbrechen, Strafen, Menschen. Begleitbuch zur Ausstellung, Historisches Museum Basel, 2012