Nuklearmedizin, Radiopharmazie und Radiologische Chemie

Auszug aus der nuklearmedizinischen Krankengeschichte aus dem Jahre 1961 über die Jodaufnahme (Jod-131) einer Patientin bei Hyperthyreose-Abklärung

Die ersten universitären nuklearmedizinischen Abteilungen entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und konnten sich zunächst an amerikanischen, später auch an europäischen Universitäten etablieren. An der Medizinischen Fakultät der Basler Universität ist der Grundstein für das Fach Nuklearmedizin durch die Arbeiten des damaligen Physikers Herbert Lüthy gelegt worden. Aus dem initialen Isotopenlabor des Bürgerspitals entstand die heutige Universitätsklinik und das Institut für Nuklearmedizin

 Picker Magnascanner aus dem Jahre 1965

H. Lüthy begann Mitte der 1950er Jahren mit Jod-131 und Eisen-59 an Patienten Untersuchungen durchzuführen. Von der klinischen Seite wurde er von einem jungen, im Röntgeninstitut tätigen Arzt, Raimund Fridrich begleitet, welcher sich der Bedeutung des Jod-Isotopes für die Diagnose und Therapie von Schilddrüsenleiden bewusst war. Fridrich publizierte zwischen 1963 und 1967 eine Reihe von klinisch orientierten experimentellen Untersuchungen über die Ursache und die Beeinflussung von Strahlensyndromen. Dabei hatte er unter anderem auch das Radiogold zur Untersuchung des Retikuloendothelialen-Systems verwendet, und war somit mit den Vorteilen der Radioisotope für die Diagnostik vertraut.

Nierenmessplatz

Schaffung räumlicher und technischer Grundlagen
In seinen Briefen vom August 1962, welche er an Zdansky an dessen Ferienort nach Leissigen im Berner Oberland richtete, beschreibt er umfassend die Vorteile der 131Jod-Szintigraphie bei Patienten mit Schilddrüsentumoren. Mit der Unterstützung seines Vorgesetzten Prof. Zdansky konnte er schliesslich anfangs der 1960er Jahre im Röntgeninstitut des damaligen Bürgerspitals ein Isotopenlabor realisieren. In den Anfangszeiten wurde überwiegend die Diagnostik und später die Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen durchgeführt. Die Entwicklung der radioimmunologischen Verfahren (RIA) mit dem auch geringste Mengen von Hormonen bestimmt werden können, ermöglichte den zweiten wichtigen Eckpfeiler der Nuklearmedizin: die in-vitro-Diagnostik. Bereits 1963 wurde in Basel zum ersten Mal der biochemische Parameter zur Feststellung der Schilddrüsenfunktion, der so genannte ET3-Test nach Hamolsky den Klinikern angeboten: «Für die Interpretation und Diagnosestellung wird ein Honorar von CHF 10.-- in Rechnung gestellt, wobei vorher die schriftliche Kostengutsprache bei den Krankenkassen eingeholt werden muss».

Cheflaborant Peter Peyer beim β-Counter

Mit der Leitung des neu entstandenen Isotopenlabors wurde Raimund Fridrich selbst beauftragt. Im gleichen Jahr wurde dem neu gewählten Laborleiter vom Schweizerischen Nationalfonds ein Beitrag von CHF 20'000.- für die Erforschung der Zusammenhänge zwischen dem retikuloendithelialen System und dem Strahlensyndrom zugesprochen. 1964 konnte sich eine grosse Delegation aus dem Bürgerspital in Tübingen (ehemalige Wirkstätte des nach Basel berufenen Ordinarius für Radiologie H. Hartweg) ein Bild über die Bedeutung der dortigen Nuklearmedizin machen. Dies trug dazu bei, dass in den Jahren 1965 und 1966 parallel zur Erweiterung des Röntgeninstitutes auch Räumlichkeiten für die Nuklearmedizin geschaffen wurden und zwei Geräte, nämlich ein Picker Magnascanner für CHF 89'500.- und ein Nierenmessplatz für CHF 85'000.- angeschafft werden konnten. Für die nuklearmedizinischen Laboratorien wurde je ein β- und γ-Counter für insgesamt 240'000 Franken bewilligt. Im Zuge dieser Erweiterung wurde dem Isotopenlabor der Status einer selbständigen Abteilung im Rahmen des Röntgeninstitutes zugesprochen und Dr. Raimund Fridrich – mit einem Jahreslohn von CHF 36'200.- – und Frau Lotti Schärer mit der Leitung der Abteilung beauftragt.

Ein weiterer Entwicklungsschub für das ganze Röntgeninstitut kam im Jahre 1968, als der Bürgerrat Basel-Stadt einen Kredit für medizinische Geräte in der Höhe von CHF 1,728 Mio. bewilligte mit der Bemerkung: "Dieser Beschluss ist zu publizieren, er wird, weil dringlicher Natur, dem Referendum entzogen". Ein Teil der zugesprochenen Gelder wurde für die dringend benötigten Schnellscanner (Dynapix und Colorpix) verwendet.

d Schnellscanner Marke Colorpix während einer Leberszintigraphie

Etablierung und Ausweitung des Fachs
Im gleichen Jahr konnte die Nuklearmedizinische Abteilung im ehemaligen Merianbau neue grosszügige Räumlichkeiten beziehen. Ein Jahr später wurde der Internist Dr. Johannes Locher als fester Mitarbeiter in der nuklearmedizinischen Abteilung angestellt. Die Diagnostik nahm in dieser Zeit mengenmässig rasant zu, dies hauptsächlich auch Dank des Einsatzes des Technetiumgenerators, mit welchem das Tc-99m, ein reiner Gammastrahler mit niedriger Energie, produziert wird. Anfangs der 70iger Jahre wurde in Basel ein Spektrum von 17 Funktionsuntersuchungen, 20 verschiedenen Lokalisationsuntersuchungen und 11 in-vitro-Messungen im nuklearmedizinischen Labor routinemässig angeboten.

Blick vom Spitalgarten auf den Merian-Bau (im Hintergrund das im Bau befindliche Klinikum II), die beleuchteten Fenster markieren die Räumlichkeiten der damaligen nuklearmedizinischen Abteilung.

Das Fachgebiet Nuklearmedizin war damit etabliert und bestand aus drei gleichwertigen Eckpfeilern: Diagnostik und Therapie, in-vitro-Diagnostik und Strahlenschutz. Topographisch untergebracht war die nuklearmedizinische Abteilung im sogenannten Provisorium Mittelbau des Merianflügels. Der Merianbau musste im Zuge der Spitalerweiterung dem Neubau des Klinikums II weichen. Rechtzeitig (1972) wurde mit der Planung der neuen nuklearmedizinischen Abteilung begonnen. Dabei wurde nicht nur der diagnostische Trakt auf Ebene 01 neu konzipiert, sondern auch eine selbständige Bettenstation im 4. Stock geplant. Noch vor dem Umzug in das neue Klinikum wurde der erste Computer (Varian) und eine dazumal moderne Gammakamera (Dynakamera 4/15) angeschafft.

 Die erste Gammakamera

Neue Räume – neue Technik – neue Differenzierungen
Der Umzug erfolgte Ende 1978 und Anfang 1979 und bescherte dem Institut nicht nur eine zum gegebenen Zeitpunkt modernste und grosszügige nuklearmedizinische Abteilung sondern auch moderne Geräte, welche an ausgeklügelte Auswertesysteme (Colour-Image-Processor, Mikrodot etc.) angeschlossen waren. Nach dem Umzug (1979) wurden auch die Ganzkörperzähler und der Mineralometer von der Abteilung für Osteologie übernommen.

Die standespolitische Entwicklung in der Schweiz führte zur Dreiteilung der Medizinischen Radiologie und der Einführung von drei Spezialarzttiteln für Röntgendiagnostik, Radioonkologie und Nuklearmedizin. Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch die medizinische Radiologie am Kantonsspital Basel reorganisiert mit Schaffung selbständiger Abteilungen im Rahmen des Institutes. Die Schaffung von eigenständigen Instituten im Rahmen eines Departementes Medizinische Radiologie mit drei Chefärzten und einem Departementvorsteher datiert ins Jahr 1990.

Die Basler Nuklearmedizin konnte trotz des schwierigen finanziellen Umfeldes bezüglich der Entwicklungen auf dem Gerätesektor mit den neuesten Entwicklungen mithalten. So wurden in den 1980er Jahren die ersten tomographischen Verfahren (SPECT) mit einer Einkopfgammakamera durchgeführt und anfangs der 1990er Jahren sukzessiv Mehrkopfgammakameras eingesetzt.

 Arbeitsplatz einer MTRA Ende der 1970er Jahre

Neuausrichtungen an der Wende zum 21. Jahrhundert
Nach der Pensionierung von R. Fridrich per 31.01.1994 übernahm Prof. Jan Müller die Leitung des Institutes und wurde gleichzeitig auf das Extraordinariat für Nuklearmedizin berufen. In den folgenden Jahren wurden insbesondere die Herzdiagnostik und die nuklearmedizinische Bettenstation ausgebaut. Die Basler Nuklearmedizin gehört heute zum grössten Anbieter der metabolischen Therapie in der Schweiz.

Durch eine Zusammenarbeit mit dem St. Claraspital erhielt Basel als dritte Universitätsklinik in der Schweiz Zugang zu der Positronen-Emissions-Tomographie und verfügt selbst seit Sommer 2007 über ein modernes Bildfusionssystem PET/CT.

 Darstellung der Funktionsweise einer nuklearmedizinischen Tomographie (SPECT)

Die wissenschaftliche Tätigkeit der Nuklearmedizin hat sich insbesondere auf die Entwicklung und Anwendung der Radiopeptide und der radioaktiv markierten monoklonalen Antikörper zur Diagnostik und Therapie von neuroendokrinen Tumoren, Lymphomen und hoch malignen Hirntumoren fokussiert. Im Oktober 1996 wurde in Basel der weltweit erste Patient mit einem metastasierten neuroendokrinen Tumor erfolgreich behandelt. In den letzten 12 Jahren wurden insgesamt über 1400 PatientInnen aus der ganzen Welt behandelt.

Die Vorreiterstelle auf dem Gebiet der Radiopeptidtherapie widerspiegelt sich in zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen, welchen den Mitgliedern des Ärzteteams zugekommen sind (Marie Curie Award der EANM an Dr. Flavio Forrer, Best Scientific Paper and Dr. Damian Wild, Young Investigator Award der EANM an Fabienne Iten, Brahms Forschungspreis an Dr. Martin Walter etc).

Aufbau des PET/CT-Gerätes im Jahre 2007

Institutionelle Etablierung der radiologischen Chemie
Die führende Rolle der Basler Nuklearmedizin auf dem Gebiet der Behandlung mit Radioisotopen ist Ausdruck der ausgezeichneten Zusammenarbeit und Integration de s Faches Radiochemie. Wie erwähnt, war die in-vitro-Diagnostik von Anfang an ein wichtiger Bestandteil der Nuklearmedizin. Unter der Leitung von Peter Peyer wurden zahlreiche radioimmunologische Methoden eingeführt und die Markierungen im eigenen Labor (Hotlabor) gefördert. Sein Nachfolger, Dr. E. Spycher übernahm die nuklearmedizinischen Laboratorien nach dem Umzug ins Klinikum II. Sein Nachfolger Prof. Helmut Mäcke entwickelte mit seinen innovativen Aktivitäten das inte rnational hoch angesehene selbständige Fachgebiet der Radiologischen Chemie. Die Abteilung für radiologische Chemie wurde im Jahre 1994 als eine selbständige Abteilung im Departement Medizinische Radiologie inauguriert.

Unter der Leitung von Prof. H. Mäcke haben in Basel 21 Chemiker promoviert und durch seine ausgezeichnete internationale Vernetzung sich zahlreiche junge Nachwuchsforscher aus verschiedenen Ländern Europas, Asiens und Amerikas hier ausgebildet. Die in Basel synthetisierten Verbindungen und die neuen Markierungstechniken haben weltweit hohes Interesse gefunden, was sich in zahlreichen Einladungen von Helmut Mäcke zu Symposien und Vorträgen in nahezu allen Erdteilen niederschlägt.

PET/CT ein Tag vor Inbetriebnahme am 01.07.2007

Als Höhepunkt der Entwicklung der Basler radiochemischen Abteilung aus klinischer Sicht dürfen die Indium-111 bzw. Yttrium-90 markierten Radiopeptide, insbesondere das erfolgreiche Somatostatin-Analogon (DOTATOC), die Substanz P, das Exendin und das Bombesin genannt werden. Die konsequente Umsetzung dieser Verbindungen in die Klinik hat den Weltruf der Basler Nuklearmedizin auf dem Gebiet der Radiopeptidbehandlung begründet.

Prof. H. Mäcke (links) und Prof. Jan Müller-Brand (Mitte) zusammen mit Rector Magnificens der Erasmus Universität Rotterdam

Wichtige Personen der Basler Nuklearmedizin

Im akademischen Sektor der Basler Nuklearmedizin können folgende Persönlichkeiten genannt werden: Prof. Raimund Fridrich (Habilitation 1962, Ernennung zum Extraordinarius 1968), Prof. Johannes Th. Locher (Habilitation 1974, Extraordinariat für Nuklearmedizin 1980, Chefarzt des Institutes für Nuklearmedizin am Kantonsspital Aarau 1970–2003), Prof. Jan Müller-Brand (Habilitation 1980, Extraordinariat 1987, strukturelles Extraordinariat 1997), Prof. Egbert Nitzsche (Umhabilitation 1999, Titularprofessur 2003, Chefarzt am Institut der Nuklearmedizin am Kantonsspital Aarau seit 2004).