Chronik der HNO-Heilkunde in Basel von 1876 bis 2007

Aus einem Mangel an Hausärzten entwickelte sich in Basel die Idee, die Allgemeinmedizinische Ausbildung stärker zu fördern. Nach einzelnen Initiativen und den Vorarbeiten verschiedener Kommissionen wurde 1994 das Forum für Interdisziplinäre Hausarztmedizin gegründet.Die Anfänge der Basler HNO-Heilkunde waren räumlich bescheiden. In seiner Privatwohnung begann Alber Burckhardt-Merian die ersten Patienten zubehandeln. Auch nach der Gründung der HNO-Klinik 1896 blieb das begrenzte Raumangebot ein über hundert Jahre andauerndes Problem. Die Basler Forschung war geprägt durch eine vielfalt nationaler und internationaler Kooperationen und bedeutende Leistungen, insbesondere im Bereich der Audiologie.

Die Anfänge: Alber Burckhardt-Merian

Albert Burckhardt-Merian

Im Jahre 1876 legte Prof. Albert Burckhardt-Merian den Grundstein zur HNO-Heilkunde in Basel. Nachdem sich seine Hoffnungen, als Nachfolger von Karl Streckeisen die Leitung des Kin-derspitals zu übernehmen, nicht erfüllt hatten, erwarb er in Wien bei Prof. Adam Politzer Spezialkenntnisse in Otologie und richtete in seiner Privatwohnung an der St. Alban-Vorstadt eine erste «Ohr-Klinik für Unbemittelte» ein, in der er Patienten kostenlos behandelte und Studenten Unterricht in Ohrheilkunde erteilte.

Im ersten Jahresbericht ist von 82 untersuchten Patienten und 324 Konsultationen zu lesen. Die wissenschaftliche Erforschung der Anatomie und Pathologie des Ohres betrieb Burckhardt-Merian im «Otologischen Institut», das dannzumal zwei Zimmer im alten Universitätsgebäude umfasste. Er machte sich durch seine Arbeiten über die Morphologie des gesunden und des pathologisch veränderten Ohres einen Namen, insbesondere durch seine Erkenntnisse über die Erkrankungen des Schläfenbeins und der Hör- und Gleichgewichtsorgane. 1879 folgte die Regierung dem Antrag der Medizinischen Fakultät und ernannte ihn zum ausserordentlichen Professor. 1884 wurde ihm zu Ehren der 3. internationale Otologen-Kongress in Basel abgehalten. Als engagierter Basler Bürger betätigte er sich auch politisch und vertrat das St. Alban-Quartier als Grossrat im Parlament. 1886 erlag er 43-jährig einem Herzleiden, der Spätfolge eines bei einer Operation zugezogenen Infekts.

Friedrich Siebenmann

Friedrich Siebenmann wurde nach Abschluss seines Studiums Assistent beim berühmten Chirurgen Theodor Kocher. Finanzielle Gründe bewogen ihn 1876 zur Eröffnung eine Landpraxis. Gesundheitliche Gründe und sein wissenschaftliches Interesse veranlassten ihn, die Praxis schon bald wieder aufzugeben und sich dem Studium der Otorhinolaryngologie zu widmen. Im Jahre 1888 wurde er von der medizinischen Fakultät zum Privatdozenten und Nachfolger von Prof. Burckhardt-Merian ernannt. Er betreute, wie schon sein Vorgänger, seine Patienten zunächst in seiner Wohnung und übernahm später die Leitung der otologischen Poliklinik und des Instituts. Entgegen der damaligen Auffassung machte er sich für eine «Fusion» der Laryngologie, damals ein Fachgebiet der Internisten, mit der «Otologie» stark. Im Wintersemester 1890/91 wurde die erste Lehrveranstaltung in Oto-Rhino-Laryngologie abgehalten. Aufgrund seiner Verdienste ernannte die Medizinische Fakultät Friedrich Siebenmann 1892 zum ausserordentlichen Professor und Leiter der otorhinolaryngologischen Abteilung.

Gründung ohne Räume – Die Anfänge der HNO-Klinik

Dank des ausgezeichneten Rufs des Ausbildungsstandes seiner Studienabgänger kamen Mediziner aus Europa, Amerika und Japan nach Basel zur Aneignung von Fachwissen in Otorhinolaryngologie. 1896 wurde nach zähem Ringen die HNO-Klinik mit eigener Bettenstation eröffnet. Die Klagen wegen Raumknappheit zogen sich aber in der Folge durch sämtliche Jahresberichte bis in die Neuzeit hindurch. Vom Erdgeschoss im Merian-Flügel zügelte die Klinik ins Reservegebäude an der Spitalstrasse, aber auch der neue Standort vermochte den Platzbedarf nicht lange zu decken, was zu einer Verteilung der Klinik auf drei Gebäude und vier Stockwerke führte, ein Zustand der sich bis in die Gegenwart nicht beheben liess.

Auch den Forschungslaboratorien war keine längerfristige Raumzuteilung vergönnt und damit ein ähnlich dornenreicher Weg wie der Poliklinik und Bettenstation beschieden. Vom alten Kollegiengebäude am Rheinsprung wurden sie zunächst ins Vesallium und dann ins anatomische Institut verlegt. 1903 erhielt Siebenmann das erste Ordinariat für Otorhinolaryngologie in der Schweiz. Regelmässig stattfindende Referentenabende in Siebenmanns Wohnung führten 1912 zur Gründung der Schweizer Gesellschaft für Otorhinolaryngologie, Gesichts- und Halschirurgie. Im Jahr 1913 präsidierte er die Deutsche otologische Gesellschaft, der er als Mitbegründer und langjähriges Vorstandsmitglied angehörte. Er hatte von sich selber aber auch von seinen Mitarbeitern und Studierenden viel verlangt, jede Form von Unzulänglichkeit verabscheut. Er blieb bis ins Alter in seinem Denken und Handeln kritisch und stets offen für Neues. Nach seiner Emeritierung 1922 zog er sich komplett zurück.

Schaffung des ersten Ordentlichen Lehrstuhls für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde durch das neue Universitätsgesetz

Ernst Oppikhofer

In Prof. Ernst Oppikofer wurde 1922 ein würdiger Nachfolger Siebenmanns gefunden, dem es gelang den hohen Standard der Basler Klinik aufrecht zu erhalten. Von 1913 an leitete er die Poliklinik, sein Interesse galt vor allem auch der Rhinologie und dem Thema «Nachteilige Folgen behinderter Nasenatmung». Seinem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass 1935 die Otorhinolaryngologie durch die eidgenössische Prüfungskommission in die Liste der Pflichtfächer für das Staatsexamen aufgenommen wurde. In Basel wurde 1937 in Umsetzung des neuen Universitätsgesetzes der erste gesetzliche Lehrstuhl etabliert und damit die erste ordentliche Fachprofessur für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde geschaffen. Zusammen mit seinem Stellvertreter Prof. Emil Schlittler führte Oppikofer die HNO-Klinik auf einem wissenschaftlich hochstehenden Niveau bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1941.

Erhard Luescher

Die Basler Regierung wählte 1941 Erhard Lüscher zum Professor für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und neuen Leiter der Klinik. Wegen des Abbruchs des Reservegebäudes an der Spitalstrasse wurden die Klinik und Poliklinik 1942 in einem Provisorium des Pfrundhauses an der Hebelstrasse untergebracht. Die Privatabteilung wurde in die Andlauerklinik am Petersgraben 11 verlegt. Die auf mehrere Stockwerke verteilte Bettenstation wuchs auf 50 Betten an, was das hohe Patientenaufkommen der damaligen Zeit, in der z.B. eine Otitis media (Mittelohrentzündung) nicht selten eine Hospitalisierung erforderlich machte, widerspiegelt.

Anfänge der Audiologie in Basel

Die Errichtung der schweizweit ersten schalldichten Kammer und die enge Zusammenarbeit mit dem Physiker Josef Zwislocki (Entwicklung der Tympanometrie) bildeten die Basis für die im Entstehen begriffene Audiologie. Die Klinik genoss weit über die Grenzen hinaus einen hervorragenden Ruf. Prof. Ewald Lüscher wurde 1958 in Anerkennung seiner Verdienste zum Präsidenten der Société internationale d'Audiologie gewählt. Unter seiner Ägide wurde der Ausbau der Endoskopie ebenso gefördert wie die europaweit erstmalige Zusammenarbeit mit der Plastischen und der Wiederherstellungs-Chirurgie für otorhinolaryngologische Tumorpatienten. Gemeinsam machte man sich die Vorteile der neuzeitlichen Narkose zunutze.

Carl Rudolph Pfaltz

In den Sechzigerjahren setzte eine intensive Forschungstätigkeit auf dem Gebiet des Vestibularapparates ein, welche primär von Privatdozent und Oberarzt C.R. Pfaltz vorangetrieben wurde. Die Audiologieabteilung wurde ab 1958 massgeblich erweitert. Eine Hörsprechanlage der Firma Siemens ermöglichte erstmals die mono- und binaurale Hörprüfung. Ein Prüfraum mit Spezialeinrichtungen zur Abklärung kindlicher Hörstörungen wurde installiert. Die Beschaffung einer Bildübertragungsanlage stellte die Nutzung der mittels neuster technischer Errungenschaften gewonnen Resultate für Forschung und Unterricht sicher. Die neuen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse wurden an die Fachkollegen in der Region sowie in Baden-Württemberg und im Elsass weitergegeben. Der hohe Ausbaustandard der Technik stand jedoch in krassem Gegensatz zur Raumsituation in Klinik und Poliklinik. Man hoffte, mit dem Abschluss der dritten Bauetappe des Bürgerspitals an der Spitalstrasse, genügend Räumlichkeiten zu erhalten und damit die Unzulänglichkeit der Einrichtungen nachhaltig überwinden zu können. Nach 25 Jahren Wirken als Ordinarius und Vorsteher der Hals-Nasen-Ohrenklinik trat Prof. Lüscher 1965 in den Ruhestand und übergab das Zepter seinem langjährigen ersten Oberarzt, dem Privatdozenten Dr. C.R. Pfaltz.

Nationale und internationale Kooperationen

Nach Abschluss seines Medizinstudiums 1947 in Basel erwarb Carl Rudolf Pfaltz zunächst beim Basler Anatomen Wolf-Heidegger fundiertes Wissen in Pathologie und Anatomie, bevor er sich der Chirurgie zuwandte. Dank eines Stipendiums war es Pfaltz möglich, in Villejuif zu arbeiten und damit den Anschluss an die internationale, akademisch-wissenschaftliche Tätigkeit zu finden. Nach seiner Rückkehr nach Basel wandte er sich der Otorhinolaryngologie zu. Ein einjähriger Aufenthalt am National Hospital of Nervous Diseases in London legte den Grundstein für sein Fachgebiet, die Otoneurologie. Der Übernahme der Klinikleitung und des Ordinariats 1965 von Prof. Ewald Lüscher ging die Habilitation im Jahr 1958 voran. Prof. Pfaltz widmete seine Schaffenskraft während mehr als einem Vierteljahrhundert nicht nur seiner Klinik im damaligen Bürgerspital, das nach der Übergabe an den Kanton 1972 in Kantonsspital umbenannt wurde. Er war 1968/69 Dekan der Medizinischen Fakultät und stand der Universität Basel von 1988 bis 1990 als Rektor vor und er präsidierte die Schweizerische Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie, Gesichts- und Halschirurgie. Besonders ehrenvoll waren die Ernennung zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und jene zum Präsidenten des «Collegium amicitiae sacrum». Seinen Bemühungen war es zu verdanken, dass die Regierung der Einrichtung eines Hörsaals sowie eines Untersuchungskurslokals mit modernster Technik zustimmte, das den praxisbezogenen Unterricht einer stetig wachsenden Studentenzahl möglich machte. Der neue, kleine aber modern eingerichtete Operationstrakt trug viel zur Verbesserung der Tumorchirurgie und der Eingriffe an Hör- und Gleichgewichtsorganen und Gesichtsnerven sowie zur Entwicklung gehörverbessernder Operationen bei. Die räumlichen Verhältnisse blieben jedoch prekär, unter der Führung von Prof. Pfaltz wurde die Klinik in einem weiteren Provisorium an der Hebelstrasse 10 zusammengefasst.

Als echte Pionierleistung ist die Einführung des ersten Endoskopie-Lasers in der HNO-Chirurgie zu betrachten. Dass technische Neuerungen stets mit einem nicht unerheblichen Risiko behaftet sind, zeigte ein Anästhesiezwischenfall, der zum Glück für den Patienten glimpflich ausging. Das Ereignis fand in der Fachwelt jedoch viel Beachtung und führte zur Anpassung der Narkosetechnik. 1975 begann der Aufbau der Phoniatrie-Abteilung unter der Leitung von Prof. Dr. Joseph Sopko. Prof. Pfaltz führte die halbjährlichen Treffen der drei oberrheinischen Zentren für Oto-Rhino-Laryngologie in Basel, Freiburg und Strasbourg zu besonderer Blüte. Neben dem Austausch der neusten Forschungsergebnisse dienten diese Treffen der Nachwuchsförderung, dem kollegialen Gedankenaustausch und dem, was heute als Networking bezeichnet wird. Im Besonderen trug aber wohl die Einladung des jeweiligen Klinikchefs zu einem kulinarisch erinnerungswürdigen Essen zur herausragenden Beliebtheit dieser Veranstaltungen bei.

Prof. Dr. med. Werner Wey war stellvertretender Klinikleiter und der führende Tumorchirurge seiner Zeit im Kopf-Hals-Bereich. Als solcher kümmerte er sich intensiv um die Probleme der Laryngektomierten. Die Gründung der Union der schweizerischen Vereinigungen der Kehlkopflosen darf als sein persönliches Werk angesehen werden, für diese Verdienste wurde ihm 1977 der «Dr. Dora-Seif-Preis» verliehen. Prof. Wey war aber auch die treibende Kraft in der HNO-Klinik für den Neubau am Petersgraben 4.

Das Jahr 1976 ist ein besonderer Meilenstein in der Geschichte der Basler Hals-Nasen-Ohren-Klinik. Im Neubau am Petersgraben (Klinikum 2) konnten endlich zweckmässige und moderne Räume für die ambulanten Behandlungen in Betrieb genommen werden. Im Weiteren wurde das 100-jährige Bestehen im Rahmen eines internationalen Symposiums feierlich gegangen.

Gründung des Basler Cochlear-Implant Zentrums

Rudolf Probst

Nach der Emeritierung der Herren Pfaltz und Wey übernahm Prof. Dr. Rudolf Probst als Ordinarius und Chefarzt die Leitung der Hals-Nasen-Ohren-Klinik. Unter seiner Ägide wurde die Forschung der Navigationschirurgie mit 3D-Bildgebung vorangetrieben und diese Technologie schon früh im Sinne von «early adapters» eingesetzt. Prof. Rudolf Probst machte sich als Otologe einen Namen, der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt war und ist. Er baute an der Basler Klinik die cochläre Forschung auf und führte ab 1986 die ersten Cochlear Implant Operationen durch. Es erfolgte die Bildung des Basler CI-Zentrums, in dem heute mehrere hundert Patienten von Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Technik (Prof. Biomed.Ing. John Allum konnte als Kapazität für dieses Fachgebiet gewonnen werden) und Pädagogik betreut werden. Langfristig erfolgsentscheidend für CI-Eingriffe ist die Früherkennung der kindlichen Hörstörung vor der Sprachentwicklung. Diese Erkenntnis führte zur Einführung des routinemässigen Neugeborenen-Hörscreenings, bei dem mittels Messung der otoakustischen Emissionen bereits kurz nach der Geburt eine Hörschädigung ausgeschlossen werden kann resp. bei Zweifeln am Hörvermögen weitere Prüfungen durchgeführt werden. Prof. Probst engagierte sich stark für die Bedürfnisse von Menschen mit einem Gehördefizit, so auch als langjähriger Präsident der eidgenössischen Kommission für Audiologie und Expertenwesen.

Das Platzproblem innerhalb des Spitals war und blieb ein Dauerbrenner. Die HNO-Bettenstation musste vom Klinikum 2 ins Klinikum 1 zunächst in den 6. und 2003 in den 2. Stock umziehen. Der erhöhte Platzbedarf der Intensivstation hatte zur Folge, dass die Abteilungen Pädaudiologie und Phoniatrie in den Markgräflerhof an der Hebelstrasse ausweichen mussten, wo bereits die Audiologie sowie die Olfaktologie untergebracht waren. Der Aufbau der Olfaktologie wurde von Frau PD Dr. Antje Welge-Lüssen vorangetrieben. Heute verfügt diese Abteilung über ein Olfaktometer der neusten Generation. Die oberrheinischen Fortbildungsveranstaltungen wurden durch diejenigen der neu gegründeten ORL-BAL, dem Ausbildungsverbund der HNO-Kliniken der Kantonsspitäler von Basel, Aarau, Liestal und Olten, abgelöst.

Im August 2006 folgte Prof. Probst einem Ruf als Direktor an die HNO-Klinik des Universitätsspitals Zürich. Seither ist das Ordinariat für Otorhinolaryngologie unbesetzt. Die Leitung der Klinik übernahm der bisherige Stellvertreter, Prof. Dr. Markus Wolfensberger. Dieser hatte bereits 1999 zusammen mit dem Chefarzt der Klinik für Wiederherstellungschirurge, Prof. Dr. Dr. Jochen Prein das «Interdisziplinäre Kopf-Hals-Tumor-Zentrum» (das damals erste und einzige Behandlungszentrum im Kantonsspital) gegründet.


siehe Webseite Universitätsgeschichte Basel 1460–2010: Chronik der HNO-Heilkunde in Basel von 1876-2007